Der Begriff Āyurveda bedeutet wörtlich „Wissenschaft vom Leben“. Āyurveda ist eine heilige Wissenschaft und stimmt mit der indischen Mythologie überein, es wird angenommen, dass sie von Brahma entdeckt wurde. Von Brahma wurde es zuerst den Zwillingen Aśvin und dann zu Indra und von diesem zu Bharadvaja und Atreya, beides Menschen, übertragen. Atreya lehrte Medizin in der antiken Stadt Takkasila (Taxila oder Takśaśilā). Seine sechs Studenten verbreiteten sein holistisches System in ganz Indien.
Die Geschichte des Āyurveda als ein tatsächliches medizinisches System kann auf die Zeit des Ṛgveda zurückgeführt werden, obwohl er ein Teil des Atharaveda ist. Der Ṛgveda erwähnt verschiedene Krankheiten und er enthält die Namen verschiedener Heilpflanzen und Heilmethoden zu verschiedenen Krankheiten.
Der Atharvaveda ist die früheste Quelle therapeutischer Maßnahmen und es pflasterte methodologisch den Weg für die Tradition des Āyurveda. Um Krankheiten zu vermeiden und die Gesundheit zu verbessern verschreibt der Atharvaveda Heilkräuter, Reinigungen und Mantras. Es gab zwei verschiedene Arten von Ärzten in der vedischen und nachvedischen Zeit:
- Ṛṣis – Weise oder Yogins, die durch ihre yogischen Kräfte lernten, Krankheiten zu heilen
- Professionelle ayurvedische Ärzte
Während der brahmanischen Zeit ab 800 v. Chr. Entwickelte sich die ayurvedische Tradition zu einer beträchtlichen Höhe und der Fortschritt des Ayurveda als medizinisches System ging kontinuierlich bis zur rücksichtslosen islamischen Invasion weiter. Abermillionen ayurvedischer Manuskripte wurden durch die islamische Eroberer in Indien im 13. Jhd. zerstört.
Zur Zeit Buddhas wurde der Ayurveda ein wissenschaftliches medizinisches System. Viele seiner medizinischen Entdeckungen, wie z. B die plastische Chirurgie, waren tausend Jahre später im Westen noch nicht bekannt. Das ayurvedische medizinische System wurde in den ersten Jahrhunderten n. Chr. ausschließlich mündlich überliefert. Später wurde eine Menge ayurvedisches Wissen angesammelt und nach und nach niedergeschrieben.
Das ayurvedische System wurde in acht Bereiche aufgeteilt:
- Salya – Chirurgie
- Sālakya – Behandlung von Störungen im Kopf- und Nackenbereich
- Kāya Cikitsā – Allgemeinmedizin
- Bhāta-vidya – Psychatrie und die Behandlung von durch Dämonen verursachten Krankheiten (Dämonolgie)
- Kaumara-bhr̥tya – die Behandlung von Kinderkrankheiten (Pädiatrie)
- Agada – Toxikologie, Behandlungsmethoden für Vergiftungen
- Rasāyana – Heilmittel und Verjüngung
- Vājikarana – Stärkung
Chirurgie oder Salya ist kein modernes System der Medizin. Es ist das Ergebnis systematischen Verständnis für den menschlichen Körper von sehr alten Heilern und Ärzten. Jetzt ist es ein sehr hoch entwickeltes System der Medizin. Jedoch sind wir in keinster Weise dazu berechtigt das alte System als unsystematisch, unmethodisch oder nicht weise zu nennen.
Körperliche Krankheiten wurden durch eine Theorie der Körperflüssigkeiten erklärt. Es gibt drei Körperflüssigkeiten, die den Körper grundlegend ausmachen: Luft (vāta), Galle (pitta) und Phlegma (kapha). Es gibt vielleicht einen Zusammenhang zwischen der Entwicklung der indischen, ayurvedischen Medizin der Körperflüssigkeiten und dem altem klinischem, griechischem System der Körperflüssigkeiten, die auf vier Körperflüssigkeiten beruht: Blut, Phlegma, gelbe Galle und schwarze Galle.
In einem Kommentar zur Medizin der Körperflüssigkeiten erklärt Heinrich Zimmer, dass die Körperflüssigkeiten nicht einfach nur luftige, gallige oder schleimige Materien im Körper sind, sondern die drei Prinzipien der Lebensenergie, die den Hauptteilen der Umwelt entsprechen: dem Luftelement, dem Feuerelement und dem wässrigen Element. Ein sehr bedeutender Punkt, der hier erwähnt werden sollte, besteht darin, dass Verehrung und Kultus für die ayurvedische Therapie notwendig sind. Das grundlegende System besteht darin, einen Ausgleich der Körperflüssigkeiten durch die Ernährung und durch Kräuter zu finden, aber auch die Hygiene wird betont und sogar Höflichkeit wird im Ayurveda als eine Präventivmaßnahme betrachtet.
Die höchst entwickelten Techniken der Medizin wurden von den ayurvedischen Ärzten am Höhepunkt der Entwicklung des Ayurveda angewandt. Medizinhistoriker sind der Meinung, dass antike ayurevedische Ärzte eine hervorragende Chirurgie, plastische Chirurgie oder die Entfernung von Katarakten praktizierten und sie hatten ein gutes medizinisches Wissen, z. B. dass Lepra ansteckend ist, sie erkannten, dass Blut spucken bei einer Lungentuberkulose die Krankheit verbreitet und sie waren fähig hervorragende Beschreibungen epileptischer Störungen zu geben.
Suśruta, Caraka und Vāgbhata sind die berühmtesten Persönlichkeiten des klassischen Ayurveda. Enzyklopädische medizinische Abhandlungen wurden von diesen großartigen Gelehrten verfasst. Caraka verfasste das „Caraka-Saṃhita“, das auf einem früherem Saṃhita von Agnivesa basiert. Das Caraka-Saṃhita enthält die Theorie und andere Kenntnisse des antiken Ayurveda, die antike mündliche Überlieferung.
Suśruta, die andere große Persönlichkeit des Ayurveda, stellte das Suśruta Saṃhita zusammen, das umfangreiche Details zur antiken indischen Chirurgie enthält. Caraka stand in dem Ruf, der Leibarzt des Kaisers Kaniṣka zu sein. Die dritte große Persönlichkeit des Ayurveda war Vāgbhata, der eindeutig Buddhist war. Zwei Autoren mit dem Namen Vāgbhata müssen unterschieden werden. Beide beanspruchten Urheberschaft in ihren großen Werken, dem Astāṅgasaṃgraha und dem Astāṅgahr̥dayasaṃhita.
Vr̥ddha Vāgbhata ( der ältere Vāgbhata) war der Sohn Siṃhaguptas, während der jüngere Vāgbhata und sein Lehrer Avalokita Buddhisten waren. Die Werke vom jüngeren Vāgbhata zeigen ausdrücklich den Einfluss buddhistischer Ethik auf die ayurvedische Medizin. Es ist das Astāṅgahr̥dayasaṃhita, das noch original auf Sanskrit existiert, aber eine tibetische Übersetzung wurde auch gefunden. Im einführendem Vers dieser medizinischen Abhandlung bezieht er sich so auf dem Buddha:
Ich erweise diesen einzigartigen Arzt, dem Buddha, der alle Krankheiten wie die Lust, die Verblendung und Trägheit verursacht und die über alle Wesen verbreitet sind, er beseitigt sie immer.
Vāgbhata betont hier auf die Moralität, die sich auf die Gesundheit des Menschen bezieht, und er widmet ein ganzes Kapitel diesem Thema. Die Entwicklung der Moralität oder der Geisteskultur hat nach Vāgbhata das Potenzial, die Gesundheit zu fördern. Er ermahnte Ärzte Buddhas liebende Güte (Metta) und Mitgefühl (Karunā) zu praktizieren und alle Wesen gleich zu behandeln.
Das Goldene Zeitalter des Ayurveda entspricht der Blütezeit des Buddhismus in Indien vom viertem Jhd. v. Chr. bis zum achtem Jhd. n. Chr. Der Buddhismus übte einen positiven und nützlichen Einfluss auf dem Ayurveda aus und es sollte daher korrekterweise als klassische ayurvedische Medizin oder „Hindu-Buddhistische Medizin“ bezeichnet werden. A. L. Basham sagt:
Der Buddhismus, der zur Tugend des Mitgefühls ermutigte und weniger an Überlegungen über ritueller Reinheit gebunden ist als der Hinduismus, scheint für das Studium der Medizin besonders leitend gewesen zu sein.
Daher ist es nutzlos zu sagen, dass der Buddhismus den Weg für den Fortschritt des Buddhismus pflasterte und der Buddha den Ayurveda gut kannte. Heinrich Zimmer weist darauf hin:
Indem der Buddha seine Theorie der Erlösung darlegte, modellierte er sie nach der Geisteshaltung der hinduistischen Ärzte bezüglich des Heilens.
Buddhismus und das klassische ayurvedische System waren aufs Engste miteinander verbunden und westliche Gelehrte akzeptieren auch die Tatsache, dass der Ayurveda aufblühte, während der Buddhismus aufstieg.
Im Vinaya Piṭaka (dem Korb der Disziplin) gibt es eine spezielle Abteilung, Bhesajjakkhandaka oder Abteilung der Medizin, in der der Buddha viele verschiedene Dinge als Heilmittel für Mönche verschreibt. Es muss hier erwähnt werden, dass es buddhistischen Mönchen nicht erlaubt ist, ihren Lebensunterhalt als Heiler zu verdienen, da es als gewöhnliche Handlung oder tierische Wissenschaft (tiracchena vijjā) angesehen wird. Warum wird es als eine tierische Wissenschaft betrachtet? Weil es das spirituelle Streben des Mönches schwächt. Und es würde auch seinen spirituellen und religiösen Fortschritt hindern, da es sonst für ihm keine Zeit gäbe seine religiösen Aktivitäten zu praktizieren und seine innere Spiritualität zu kultivieren. Aber buddhistischen Mönchen ist es erlaubt Medizin zu verschreiben und auch alles Auszuführen, was immer sie auch denken, es sei passend für die Wohlfahrt, das Gute und das Glück des Patienten aus liebende Güte (metta) und Mitgefühl (karuṇā).
Jivaka-Komārabhacca war Buddhas Leibarzt und auch ein Student des berühmten Atreya, eine große Persönlichkeit des Ayurveda. Er ging nach Takkasila und studierte sieben Jahre Medizin. Jivaka wurde öffentlich als „König der Ärzte“ für sein medizinisches Ansehen gekrönt.
In einem Kommentar zum Buddha und zum buddhistischem Einfluss auf dem Ayurveda sagt Jyotir Mitra:
„Mitgefühl war die Quelle seiner Moral und das Gute für alle war das Ziel seiner moralischen Handlung. Unter der moralischen Handlung, die Einbeziehung des Zölibats, Wissen, Wohltätigkeit, Freundschaftlichkeit, Mitgefühl, Freude, Unparteilichkeit und Frieden im Ayurveda wurde er positiv vom Buddhismus beeinflusst.“
Von Dharmāśoka, ein buddhistischer Kaiser Indiens, wird berichtet, dass er sowohl für Menschen als auch Tiere Krankenhäuser errichtete. Im zweiten Edikt des Kaiser Aśoka steht:
Überall in diesem Land, auch in den benachbarten Ländern, gründete Aśoka die medizinischen Zentren, die sowohl Menschen als auch Tiere medizinisch versorgten. Heilkräuter für die Menschen als auch für die Tiere wurden an Orte gebracht und gepflanzt, an denen sie nicht wuchsen; ebenso wurden Früchte und Wurzeln an Orte gebracht und gepflanzt, an denen sie nicht wuchsen. (Devanam priyasa priyadasino rajo dve cikicha kata manusa cikicha ca pasu cikicha ca)
Die medizinischen Zentren Aśokas gingen ähnlichen Krankenhäusern im Westen um 20 Jahrhunderte voraus. Während der Regierungszeit dieses Kaisers erreichte das System des Ayurveda alle Ecken und Enden des Reiches – von Afghanistan nach Sri Lanka (oder Sīhaladvipa, das Land der Singhalesen) und zu den westlichen Grenzen griechischer Könige. Kaiser Aśoka machte alles für die Wohlfahrt aller Menschen und Tiere aufgrund seines Mitgefühls (karuṇā) und Mitleids.
Mönche des Mahayana-Buddhismus sind dazu angehalten Medizin zu studieren, da es einer ihrer Hauptfächer ist. Daher erzeugte die nördliche buddhistische Tradition oder der Mahayana-Buddhismus hunderte großartiger Gelehrte und ayurvedische Ärzte. Sie leisteten einen enormen Beitrag zur Entwicklung des Ayurveda.
Wegen diesem Zusammenhang zwischen Mahayana-Buddhismus und Ayurveda waren mahayanische Philosophen-Heilige große Ärzte und sie schrieben aus Mitgefühl und liebende Güte für Menschen und Tiere großartige medizinische Werke. Sie können als ein bedeutender Beitrag zur ayurvedischen Literatur betrachtet werden. Nāgarjuna und Aśvaghoṣa waren große Philosophen und sie wurden als ärztliche Heilige betrachtet.
Die tantrische buddhistische Tradition entwickelte auch ein großes medizinisches System, das auf die psychophysischen Praktiken des tantrischen Yoga basiert. Die antike indische Alchemie (die Chemie des Mittelalters) steht sowohl zu den Tantras als auch zur ayurvedischen Medizin in Beziehung. Das Hauptziel der Alchemie ist die Transformation der Energie. Verschiedene magische und medizinische Kräuter und andere Substanzen wurden in Verbindung mit religiösen Techniken wie Zaubersprüche oder Beschwörungen angewandt um den Körper zu transmutieren und unsterblich zu machen. Der tantrische Yoga kann als die innere esoterische Vereinigung der Medizin und Religion definiert werden.
Daher wurden unermessliche Beiträge zur ayurvedischen Medizin während der buddhistischen Periode in Indien geleistet. Unzählige Manuskripte, die sich auf die Medizin beziehen, wurden von diesen buddhistischen Mönchen übersetzt und erhalten. Es war diese ayurvedische, medizinische Wissenschaft, die methodisch nach Tibet gabracht wurde – dem verborgenen Land auf der Erde – und hier wurde es zu einem indigenem medizinischem System. Der Buddhismus in Indien fuhr fort zur ayurvedischen Medizin beizutragen bis zu seinem vollständigen Verschwinden von seinem Heimatland durch islamische Invasoren. Die islamischen Invasoren zerstörten systematisch alles, was zur buddhistischen Kultur gehörte. Unzählige buddhistische Manuskripte wurden verbrannt. Unter ihnen waren hunderter großer medizinischer Werke, die man leicht als den essentiellsten und großartigsten literarischen Schatz der Menschheit betrachten kann.
Heutzutage leben wir in einer technologisch hochentwickelte Gesellschaft. Die moderne Gesellschaft hat sich weit entwickelt, aber wir sind immer noch nicht fähig angemessene Heilverfahren für bestimmte Krankheiten zu finden. Krebs ist einer dieser tödlichen Krankheiten. Viele Leute glauben, dass es eine neue Krankheit sei. Aber das ist ein Irrtum, es ist eine alte Krankheit. In den buddhistischen Suttas haben wir einen speziellen Begriff im Pāli dafür: „Pilakā“. Und es gab eine angemessene Medizin dafür, aber die moderne medizinische Gemeinschaft ist sich dessen nicht bewusst und macht keine Anstalten sie zu finden.
Altes Wissen kann man in traditionellen Gesellschaften und ländlichen Gegenden finden, aber nicht in modernen Laboratorien. Der moderne Mensch ist unverständig, er denkt, dass dieses ultramoderne Wissen die einzige Wahrheit ist und dass antike Gedanken, Konzepte und Ideen falsch, nutzlos und altmodisch sind. Zum Beispiel hat nicht nur der traditionelle Ayurveda sondern auch die traditionelle singhalesische und tibetische medizinische Systeme Heilmethoden für Krebs. Es ist pathetisch, dass unsere modernen Mediziner sich dieser traditionellen Weisheit nicht bewusst sind. Es ist eine Frage der Zeit, dass moderne Pathologen ihren Geist auf antike Weisheit richten. Sie sollten kein taubes Ohr altem Wissen und alten Manuskripten der Medizin schenken.
Das „Bower Manuskript“ stammt aus dem viertem Jahrhundert und es beschreibt detailliert ein langes Leben. Ein Kapitel erörtert den richtigen Gebrauch des Knoblauchs und es erklärt wie man mit Hilfe des Knoblauchs das Leben verlängern kann. Hunderte Heilverfahren für verschiedene Krankheiten sind im Manuskript enthalten. Warum ignoriert der moderne Mensch diese alten Behandlungsmethoden? Es liegt an der Vernachlässigung und Mangel an Vertrauen an alten Dingen und altem Wissen. Es wird der Tag kommen, an dem die Mediziner sagen: „Geht zurück zum altem Wissen und findet Heilmittel für diese tödlichen Krankheiten unserer Zeit.“
Literatur
- Basham, A.L., The Practice of Medicine in Ancient and Medieval India, Asian Medical Systems, p. 24. (Charles Leslie, ed.)., California, 1976.
- Zimmer, H. Hindu Medicine, p. 52, Baltimore, 1948.
- Mitra, J., “Lord Buddha - A Great Physician”, Religion and Medicine, pp. 50-51 (K.N. Udupa, ed.) Varanasi, 1974.